Vor 90 Jahren verbrannten faschistische Studenten mit Unterstützung durch SA, Hitlerjugend und rechte Mitglieder der Professor:innenschaft wichtige Werke des humanistischen Kulturschatzes. Wir haben uns am Jahrestag der Hamburger Bücherverbrennung am 15.5.23 an der Lesung vor der Staats- und Universitätsbibliothek beteiligt, zu der die AG Antifa an der Uni Hamburg und die AG Antifa der HAW aufgerufen hatten.
Die Lesung war dem Namensgeber der Bibliothek, Carl von Ossietzky, und den weiteren Autor:innen des „Weltbühne“-Kreises gewidmet. Um die von Carl von Ossietzky herausgegebene „Weltbühne“ sammelten sich die linken, republikanischen Intellektuellen der Weimarer Republik , die im Bündnis mit den Arbeiterparteien für die zivile Entwicklung der ersten deutschen Demokratie kämpften. Sie verfassten Buch- und Theaterkritiken, politische Debattenbeiträge und satirische Lyrik in Gegnerschaft zu den Bestrebungen einer Rückkehr in die Monarchie und gegen den aufkommenden Faschismus.
Gegen ihre Ambition einer zivilen, gerechten und demokratischen Gesellschaft richtete sich der Hass der nationalistischen, elitär geprägten Studierendenschaft in der Bücherverbrennung. Weil das entstehende Bündnis aus bürgerlichen Intellektuellen und Arbeiterbewegung den Faschisten ein Dorn im Auge war, wurde Carl von Ossietzky als einer der ersten 1933 ins Konzentrationslager verschleppt. Erst im Exil formierte sich die antifaschistische Einheit aus Kommunist:innen, Sozialdemokrat:innen und Linksliberalen – sie war entscheidend für die Vergabe des Friedensnobelpreises an Carl von Ossietzky und für die Entstehung der Anti-Hitler-Koalition, die mit der Befreiung vom 8. Mai 1945 über den Faschismus siegte.
Heute steht die 1933 verbrannte Literatur wieder in unseren Universitätsbibliotheken und lädt uns zum Lernen und Diskutieren ein. Wir hatten große Freude an der Lesung und empfehlen den Blick in das Gesamtprogramm des stadtweiten Aktionsmonats „Hamburg liest verbrannte Bücher“, der noch bis zum 10.6.23 läuft.
Anbei dokumentieren wir zwei der von uns gelesenen Texte
Als Ossietzkys Text „Das Ende der Pressefreiheit“ am 29.3.1932 in der „Weltbühne“ veröffentlicht wurde, war in Italien bereits der Faschismus an der Macht, in Deutschland hatten Faschisten und Nationalkonservative sich zur „Harzburger Front“ zusammengetan und Hitler hatte Vertretern von Banken und Großindustrie sein Programm vorgestellt. Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky waren im Bewusstsein der gefährlichen Lage um eine Übersiedelung der „Weltbühne“ nach Skandinavien bemüht. Um so bemerkenswerter ist, dass sich Ossietzky noch in größter Bedrängnis nicht der Verzweiflung hingibt, sondern mit scharfer Kulturkritik gegen Denunziantentum und Zensur im Namen des „Deutschen Geistes“ in den langen Linien humanistischer Kultur und Philosophie – über Goethe und den persischen Dichter Hafis, Schiller, Kleist und Marx – persönlich darlegt, wofür es sich zu kämpfen lohnt:
Das offizielle Deutschland feiert Goethe, aber nicht als Dichter und Künder, sondern vornehmlich als Opium. Goethe als Betäubungsmittel, Goethe als künstlerisch ausgeführter Paravent zwischen Volk und Wirklichkeit. Die Spitzen eines halb faschisierten Staates feiern die Unendlichkeit des Geistes, infolgedessen findet wenig Beachtung, wie eifrig die Zensur grade jetzt daran ist, die Geister zu binden. […] Das ist kein freundliches Bild, das wir hier vorüberziehen lassen, und wir denken auch nicht mit einem schön rollenden Proteste zu schließen. Unsre Väter noch gründeten Bünde im Namen Goethes und Lessings und beriefen sich mit wehender Krawatte auf den Geist der Klassiker. Vorbei die Zeit der liberalen Notabeln, die mit echtem Gefühl und falschem Vokabular ihre Verwahrungen deklamierten. Alles ist heute sehr zugespitzt, die Dinge stehen bös und hart gegeneinander. Aus den Kämpfen der Geister sind nüchterne Klassenkämpfe geworden. Die junge, aus dem Proletariat steigende Literatur ist unpathetisch, propagandistisch, lehrhaft. Sie ist noch herzlich unbeholfen, aber sie wird auch das Singen wieder lernen, und sie wird, vor allem, nicht mit Schikanen aus der Zeit Metternichs zu bändigen sein. Es war in der muffigsten Reaktion des Vormärz, als der junge Karl Marx diese Bemerkung niederschrieb: »Man muß jede Sphäre der deutschen Gesellschaft als die Partie honteuse der deutschen Gesellschaft schildern, man muß diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, daß man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt!«
Tucholskys Satire „Deutschland, Deutschland über alles“ erschien 1929 mit Illustrationen von John Heartfield. In dem Gedicht „Start“ werden Beschwichtigung und Aufsteigertum satirisch angegriffen. Für egalitäre Bildungseinrichtungen, in denen der Mensch im Mittelpunkt steht, trifft die Satire auch heute noch ins Schwarze:
Du wirst mal Geschäftsprinzipal –
mä –! bä –!
Untenrum dick und obenrum kahl,
mit dem Maulwerk egalweg sozial,
und im Herzen natürlich deutsch-national –
Na, nu weine man nicht!
Du wirst mal Landgerichtspräsident!
Kille-kille!
Einer, der die Gesetzbücher kennt,
einer, der in den Sitzungen pennt,
und die Fresse zerhackt wie ein Korpsstudent –
kille … kille … kille … !