Weltweite Kooperation gegen koloniale Kontinuitäten: Zur Durchsetzung des UN-Atomwaffenverbots

Weltweite Kooperation gegen koloniale Kontinuitäten: Zur Durchsetzung des UN-Atomwaffenverbots

Vortrag und Diskussion mit Christoph von Lieven (Abrüstungscampaigner bei Greenpeace, Vorstand von ICAN Deutschland)
5.2.2024 | 19 Uhr | Von-Melle-Park 8, Raum 05

„Ein Zehntel der Energien, die die kriegführenden Nationen im Weltkrieg verbraucht, ein Bruchteil des Geldes, das sie mit Handgranaten und Giftgasen verpulvert haben, wäre hinreichend, um den Menschen aller Länder zu einem menschenwürdigen Leben zu verhelfen sowie die Katastrophe der Arbeitslosigkeit in der Welt zu verhindern.“
(Albert Einstein im Interview „Einstein on peace“, 1929)

„Wir wollen, daß die Bundesrepublik sich der militarisierten Außenpolitik von NATO und der USA entzieht und aus der NATO austritt. Dazu ist es notwendig, mit einseitigen Abrüstungsschritten hier und jetzt zu beginnen. […] Militärische Defensivverteidigung macht keinen Sinn, weil sie immer auf die Anwendung von Waffengewalt ausgerichtet ist und jedes Waffensystem immer auch offensiv eingesetzt werden kann. DIE GRÜNEN befürworten demgegenüber das Konzept der sozialen Verteidigung, das jede militärische Option ausschließt. Es ist an der Zeit, von der Abrüstung nicht nur zu reden, sondern mit ihr zu beginnen – in beiden Blöcken. Wir müssen vor der eigenen Haustür anfangen!“
(Aus dem Grünen-Bundestagswahlprogramm von 1987)

Die Widersprüche der Globalisierung kapitalistischer Prägung spitzen sich zu – Welthunger trotz Nahrungsmittelüberschüssen, Klimakrise trotz hohem technologischen Entwicklungsniveau, Wirtschaftskriege trotz verflochtener Lieferketten, exorbitante Finanzmarktprofite auf der einen und Massenverelendung auf der anderen Seite. Die Frage, in welche Richtung diese Widersprüche aufgelöst werden, beantwortet die Ampel-Koalition mit dem Ruf nach Atomwaffen. Zur Suggestion von Kontrolle beschwor Olaf Scholz eine „Zeitenwende“ zur Militarisierung Deutschlands und verkündete dabei voller Stolz die Modernisierung der in Deutschland stationierten US-Atomwaffen. Der ehemalige grüne Außenminister Joschka Fischer prescht in Kalter-Kriegs-Manier gar mit der Idee einer nuklearen Aufrüstung der EU vor. Sie sei neben massiver konventioneller Aufrüstung das einzige Mittel, gegen Russland den Frieden in Europa zu erzwingen.

Das Paradigma des durch nukleare Abschreckung erzwungenen Friedens geht zurück auf die Zeit unmittelbar nach dem Sieg über die deutsche Wehrmacht, als US-Präsident Truman die antifaschistische Allianz mit der Sowjetunion zum Zwecke der „Eindämmung“ des Sozialismus aufkündigte. Ihren globalen Dominanzanspruch als Führer der „freien Welt“ untermauerten die USA im August 1945 durch die Zerstörung der japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki mittels Atomwaffen.

Atomwaffen bringen seitdem weder Frieden noch Sicherheit, sondern dienen der Vormachtsicherung zur Ausbeutung anderer Weltregionen und sind Rückendeckung für gewaltvolle Expansionspolitik. Offen zum Ausdruck brachte dies US-Präsident Richard Nixon 1972, als er ankündigte, die Atombombe einzusetzen, sollte China sich durch einen Eingriff in den Vietnamkrieg den USA in den Weg stellen (er lieferte damit die Blaupause für entsprechende Drohungen aus den aktuellen Regierungen Russlands und Israels im Ukraine- bzw. Nahostkrieg). Das heutige Anpreisen der angeblichen Wirksamkeit „atomarer Abschreckung“ zur weltweiten Friedenssicherung unterschlägt die zahlreichen kolonialen Kriege, Militärinterventionen und Putsche der USA und ihrer NATO-Partner (in Kuba, der DR Kongo, Chile, Angola, Nicaragua und wo sonst sich antikoloniale und sozialistische Befreiungsbewegungen bildeten) sowie den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan.

Dagegen treten antikoloniale Bewegungen immer vehementer für die ausschließliche Nutzung des wissenschaftlichen Fortschritts zur Verwirklichung der Würde aller Menschen in einer multilateralen, egalitären Weltordnung ein – einschließlich der atomaren Abrüstung. Beispielgebend waren die Befreiungskämpfe in Südafrika, die zu Beginn der 1990er-Jahre mit der Überwindung der Apartheid auch die Beendigung des südafrikanisch-israelischen Atomwaffenprogramms errangen. Aus solchen Quellen schöpft der 2021 ratifizierte Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen, der inzwischen von 93 Staaten unterzeichnet wurde.

Für die weltweite Durchsetzung des Atomwaffenverbotsvertrags – und damit ein neues Niveau der kooperativen Menschheitsentwicklung zum Wohle Aller – kommt es auf das verstärkte Engagement der Bevölkerungen auch in den NATO-Staaten an. Profite in großem Stil mit nuklearen Massenvernichtungswaffen machen US-amerikanische Finanzinstitutionen. BlackRock und die Bank of America investieren jedes Jahr zweistellige Milliardensummen und profitieren unmittelbar durch staatliche Rüstungsaufträge, mittelbar durch die Sicherung „günstiger Marktbedingungen“ weltweit. Aus Deutschland, dem wirtschaftsstärksten NATO-Staat in Europa, kommt mit der Deutschen Bank der größte Investor außerhalb der USA. Ohne staatliche Finanzierung und Infrastruktur wären diese Profite mit der Entwicklung und Produktion von Atomwaffen nicht möglich: Rohstoffe aus der Atomenergie-Branche werden dafür ebenso benötigt wie Wissenschaftler:innen der staatlichen Universitäten. Dem gilt mit Wolfgang Borchert unser „Nein!“.

Welches Potential hat eine von Deutschland ausgehende Initiative für atomare Abrüstung – beispielsweise durch die Demontage der in Büchel stationierten US-Atomwaffen – für die Abkehr von der „nuklearen Abschreckung“ weltweit? Wie setzen wir in Kooperation von Wissenschaft, Klima- und Friedensbewegung durch, dass die deutsche Bundesregierung sich dem Atomwaffenverbotsvertrag anschließt und damit Entwicklung, Test, Produktion, Erwerb, Lagerung, Transfer, Kontrolle, Stationierung und Einsatz von Atomwaffen illegal macht? Diese Fragen diskutieren wir mit Christoph von Lieven, Greenpeace-Abrüstungscampaigner und Vorstand der Kampagne für die Ächtung von Atomwaffen ICAN Deutschland. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen.


Bild: Karte erstellt mit Mapchart.
122 Staaten haben 2017 in der UN-Vollversammlung für den Atomwaffenverbotsvertraggestimmt (gelb), 93 Staaten haben ihn unterzeichnet (rot schraffiert), 69 Staaten haben ihn ratifiziert (rot).